Die Hochzeitsnacht
| Bezeichnung | Wert |
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| Titel |
Die Hochzeitsnacht
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| Untertitel |
Erzählungen
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| Verfasserangabe |
Feyzâ Hepçilingirler. Übers. aus dem Türk. und Nachw.: Beatrix Caner
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| Medienart | |
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| Person | |
| Reihe | |
| Auflage |
Dt. Erstveröff., 1. Aufl.
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| Verlag | |
| Ort |
Frankfurt am Main
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| Jahr | |
| Umfang |
200 S.
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| ISBN10 |
3-935535-10-4
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| ISBN13 |
978-3-935535-10-6
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| Annotation |
Angaben aus der Verlagsmeldung
Die Hochzeitsnacht / von Feyza Hepcilingirler
Menschenlandschaften - Innenansichten.
Der weltberühmte Dichter Nâzim Hikmet begegnete in Anatolien während seiner Reise von Istanbul in die junge Sowjetunion zum ersten Mal dem türkischen Volk, den einfachen Menschen. Von seinen Erfahrungen überwältigt, schrieb er sein packendes Werk Insan Manzaralari - Menschenlandschaften. So ursprünglich in diesem langatmigen Poem Nazim Hikmets Menschenbilder der Türkei zu Beginn des 20. Jahrhunderts äusserlich, dennoch emotional intensiv gezeichnet wurden, so ursprünglich, emotional und eindringlich werden Gefühls- und Gedankenwelten türkischer Frauen und Männer von heute in den Erzählungen der Literatin Feyza Hepcilingirler offenbart. Während sich die meisten türkischen Autoren ihrer Generation in den 70er und 80er Jahren den politischen Verhältnissen der Türkei ideologisch, oft in einem belehrenden Tonfall und nicht selten ausgesprochen feindselig näherten, schlug Hepcilingirler einen anderen, neuen Weg ein und wagte es, "unbedeutende" Aspekte des Lebens zu ergründen und sie literarisch zu verarbeiten. In ihren Erzählungen wird eine reiche Palette innerer Regungen jener Menschen enthüllt, auf die kaum ein "grosser Literat" der Türkei einging: mittellose Witwen, gescheiterte, einsame Menschen ohne Perspektive, verlassene Liebende, Männer und Frauen, die ihr Leben nicht in den Griff bekommen, trauernde und hereingelegte Mädchen, bekümmerte Hausfrauen. All ihre Sorgen, Gefühle, Gedanken werden aus sich selbst heraus reflektiert, ohne, dass dafür ein politischer Grund bemüht wird, sie alle erleben ihr kleines Glück oder ihre kleinen und grossen Sorgen, lediglich aus "banalen" und privaten Gründen, ohne das Zutun eines hassenswerten Systems, und wir erahnen, dass es andere Weisheiten geben kann, die das Leben der Menschen bestimmen, als eine ideologische Haltung.
Die vielfach - auch international - ausgezeichnete Literatin Feyza Hepcilingirler, 1948 in der ägäischen Kleinstadt Ayvalik geboren, hat einen familiären Hintergrund, der ihr andere als die üblichen Erfahrungsdimensionen ermöglichte: Im Zuge des Bevölkerungsaustausches im Jahre 1923, nach der Gründung der Republik Türkei, zogen ihre Grosseltern von Kreta in das neue Vaterland. In Ayvalik gibt es bis heute eine grosse Gruppe von sog. "Giritli", also Türken aus Kreta, die sogar noch in der vierten Generation als zweite Sprache griechisch sprechen und in beiden Lebenskulturen (türkisch und griechisch) heimisch sind. Privat erlebte Feyza Hepcilingirler als junges Mädchen einige tragische Begebenheiten in ihrer Familie, und diese Erlebnisse veranlassten sie, viele Traditionen und gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten gründlich zu hinterfragen. In ihren Erzählungen taucht gerade das Hinterfragen immer wieder als eine "kleine Rebellion" auf, manchmal nur in winzigen Details, die aber im Leben der Menschen eine Schlüsselrolle spielen können: Einen neuen Anfang zu wagen, indem man sich als Frau die Haare abschneiden lässt, oder zu schlafen - so in Schlafen als Rebellion - als Widerstand gegen sinnlos empfundene Regeln.
Als eine Besonderheit dürfte gelten, dass die Autorin nicht nur aus der "Frauenperspektive" schreibt, nicht nur die weibliche Seele als feinfühlig ansieht - und somit nicht in eine verbreitete Einseitigkeit verfällt -, sondern auch die Gefühlswelt von Männern konsequent erkundet, männliche Gefühle ebenfalls als verletzlich und sensibel darstellt. Als wegweisendes Beispiel kann ihre Erzählung Es klingelt schon wieder gelten: Ein ehemals inhaftierter junger Mann, den die Geheimpolizei für Spitzeldienste anwerben will, sieht den einzigen Ausweg im Untertauchen, doch die Tatsache, dass die Mutter sein Verschwinden nicht verkraften würde, stürzt ihn in eine Krise. Ein anderer junger Mann - in der experimentellen Erzählung Chaos - droht an seiner Einsamkeit zu zerbrechen und rebelliert gegen seine Verlobte, die nicht Wort hält und nicht mit ihm nach Istanbul zieht. Seine recht chaotischen und kaum überdachten - letztlich inkonsequenten - Reaktionen werden sehr gekonnt, realistisch und detailreich ausgeleuchtet. In Der nächste Tag lernen wir die Gefühlswelt eines Mannes mittleren Alters kennen, der nicht minder inkonsequent handelt. Der Musiklehrer in Präludium für kahle Äste verstrickt sich auch in seine emotionalen Widersprüche und manövriert sich geradewegs in eine Krise, weil auch er gegen seine engen Grenzen zu rebellieren versucht und das Glück in einer heimlichen Liebe zu finden hofft. Der alte Mann in Ghasel mit Hinkereim lebt in seinem Elfenbeinturm, gibt sich literarischen Träumereien hin, doch ist er kaum in der Lage, handfeste Ergebnisse auf den Tisch zu legen. Seine naive und dennoch komplizierte Innenwelt wird sehr poetisch mit der klassischen osmanischen Dichtung verwoben.
Frauen in den Erzählungen Feyza Hepcilingirlers wirken oft gerade in ihren Schwächen als ausharrend und stark, geradlinig und konsequent. Ob die alternde Ballerina, die ihre Melancholie abstreift und beschliesst, ein herzliches Lächeln zu üben, die fünfzigjährige Frau, die ihren Mut zusammennimmt und zum zweiten Mal heiratet, weil sie nicht mehr Jungfrau sein will, verheiratete und geschiedene Frauen, die ganz sachlich nach einem Geliebten suchen, bei dem sie keine Gemeinsamkeiten erwarten - sie alle brechen aus den Traditionen, aus den Engen ihres Lebens aus, auch wenn dies von Aussen gar nicht sichtbar ist. Aber manchmal sind es eben winzige Details, die dem Leben eine neue Wendung geben.
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